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Warum hat mir das niemand vorher gesagt? Wahrheiten für berufstätige Eltern
Ich hatte völlig unterschätzt, wie viel Mental Load entsteht, wenn man Beruf und Familie ständig miteinander koordinieren muss.
Man kommt manchmal als Letzte zur Arbeit und muss als Erste gehen. Ich fühlte mich oft schlecht gegenüber meiner Kolleg:innen
Dieses Schuldgefühl, wenn man das weinende Kind in der Kita abgibt und dann Richtung Schreibtisch fährt, hat mich doch umgehauen.
Und dann kommen alle mit ihren Meinungen, nach denen niemand gefragt hat:
Dann hör auf zu arbeiten. Du wolltest das Kind doch. Jetzt gibst du es ab!
oder:
Also als so traditionelle Frau hab ich dich nie gesehen. Dir war doch deine Karriere und deine Freiheiten immer so wichtig?
Wie man’s macht, macht man’s verkehrt.
Die Unmöglichkeitsfalle
Arbeiten Mütter nach der Schwangerschaft gar nicht mehr, werden sie schnell als Glucke abgestempelt als Helikoptermutter, loslassen sollen sie, doch auch mal an sich denken.
Aber bitte auch nicht zu früh wieder in den Job einsteigen und auch das Arbeitspensum nicht übertreiben! Sonst ist sie eine Rabenmutter, vernachlässigt ihr Kind. Man kann halt nicht alles im Leben haben, hätte sie sich entscheiden müssen!
In der Schweiz arbeiten laut Bundesamt für Statistik fast 80 % der Mütter mit minderjährigen Kindern in Teilzeit. Bei den Männern sind es lediglich 18 %. Während Teilzeitarbeit bei Müttern längst zur gesellschaftlichen Norm geworden ist, gilt sie bei Vätern noch immer als Ausnahme – mit negativen Folgen: Wer als Mann reduziert, muss oft mit Vorurteilen über mangelnde Karriereambitionen rechnen, wird seltener für Beförderungen berücksichtigt und beruflich benachteiligt. Dafür wird er zwar auf dem Spielplatz von anderen Mamas bewundert und vergöttert, aber damit lassen sich auch keine Rechnungen bezahlen.
Die gesellschaftliche Brille
Die Zuschreibungen kommen nicht von ungefähr: In der Schweiz sind die Betreuungskosten im europäischen Vergleich am teuersten, die Familienpolitik konservativ und das Bild der „guten Mutter“ oft noch an die Präsenz zu Hause gekoppelt. Gleichzeitig sollen Frauen finanziell unabhängig und karrierestark sein – in einer Zeit, in der Lebenshaltungskosten und Inflation stetig steigen.
Die Folge: Mütter stehen unter einem ständigen Rechtfertigungszwang, während Väter oft „Helden“ sind, wenn sie überhaupt reduzieren.
„Cool Moms don’t judge” und alle anderen bitte auch nicht – Schluss mit Mom-Shaming
Es gibt keine universelle Formel für das „richtige“ Elternsein. Was für die eine Familie funktioniert, passt für die andere nicht. Wichtig ist, dass Entscheidungen bewusst getroffen werden – und dass wir aufhören, andere Lebensmodelle zu bewerten.
Es wäre doch so schön, wenn wir uns einfach gegenseitig unterstützen würden, voneinander lernen und wenn es jemand ganz anders macht als man selbst? Einatmen – ausatmen – und weiterziehen.
Wir haben euch gefragt, wie ihr das so seht und so viele spannende Einblicke erhalten. Danke für jeden einzelnen Beitrag! Eure Perspektiven sind so spannend und wichtig.
Hier ein paar Zitate von Müttern und Vätern.
Gibt es einen Satz, den du als Elternteil nie vergessen wirst – positiv oder negativ?
Wenn mein Sohn mir regelmässig sagt, ich sei der beste Papa der Welt – und mir jeden Abend sagt, wie sehr er mich liebt. 🥰
„Schön, dass dich dein Mann bei der Erziehung unterstützt.“ > Mein Mann unterstützt mich nicht, er ist genauso verantwortlich wie ich und wir teilen uns alles Fifty-Fifty auf
Arbeiten gehen ist endlich wieder „Me-Time“!
Von einer meiner besten Freundinnen bei meiner Babyparty: „Es ist alles nur eine Phase, eine Phase, eine Phase, eine Phase.
Was ist die grösste Herausforderung, wenn du morgens das Haus verlässt?
Alle Aufgaben rechtzeitig zu erledigen, damit ich abends den Laptop nicht mehr aufklappen muss.
Neben dem ganz normalen Chaos, alle fertig zu machen und aus dem Haus zu kommen? Die mentale Last. Sicherstellen, dass nichts schiefläuft, während wir weg sind. Ich bin schon mal umgedreht, weil ich nicht mehr wusste, ob ich das Bügeleisen ausgesteckt habe. Wenn man für kleine Menschen verantwortlich ist, wird man plötzlich extrem aufmerksam für jede potenzielle Haushaltskatastrophe. Meine Morgenroutine besteht inzwischen aus viel mehr Sicherheitschecks als früher.
“Für drei Personen zu denken. Haben Kind 1 und 2 alles für die Schule dabei, Aufgaben gemacht, sind dem Wetter entsprechend angezogen, wissen, wo sie heute hin müssen… Bin ich vorbereitet, habe ich nichts vergessen etc.”
Gab es schon Situationen im Job, in denen du dachtest: ‚Das versteht hier keiner ohne Kinder‘?
Sie können nicht wissen, wie viel ich in den zwei Stunden vor der Arbeit schon geleistet habe: von der ganzen Organisation, dem Vorantreiben eines verträumten Kindes, das lieber spielen oder schlafen möchte, dem emotionalen Support bei einem Wutanfall und dem eigenen Stressmanagement.
Wie unglaublich viel Eltern neben ihrem Job jeden Tag noch leisten – vor und nach dem Job.
Kitaeingewöhnung und die Unsicherheit, ob ich alle Termine und Meetings wirklich wahrnehmen kann.
Welche Kommentare von aussen haben dich am meisten verletzt oder verunsichert?
- Kommentare und Bewertung zur Erziehung von den eigenen Eltern und Familie – entweder sind wir zu streng oder zu locker, aber selten genau richtig. (Rebekka)
Wie managst du Arbeit und Familie?
Die Tage sind lang, und nach einer 8,4-stündigen Arbeitszeit, dem Pendeln, der Betreuung meines Sohnes und den Hausarbeiten bleibt nicht viel Zeit für gemeinsame Momente mit meiner Frau. Daher haben wir es uns zur Gewohnheit gemacht, mindestens einen Abend in der Woche für uns zu reservieren. Meistens geniessen wir ein gemeinsames Abendessen und öffnen eine Flasche Wein, während wir einen Film ansehen (der häufig nicht besonders gut ist).
Ich habe gelernt, dass klare Grenzen das A und O sind. Ich blocke bewusst Zeit für die Familie – besonders nach dem Kindergarten-Abholen. Diese Stunden sind heilig. Der Spagat zwischen Arbeit und Familie ist an den meisten Tagen machbar. Aber Zeit für mich selbst zu finden? Das ist die eigentliche Herausforderung. Ich bin meistens die letzte Person auf meiner eigenen Prioritätenliste – das ist auf Dauer nicht wirklich tragbar. An manchen Tagen bedeutet „Self-Care“, dass ich meinen Kaffee noch warm trinken kann.
Wie reagiert dein Arbeitgeber/dein Team auf deine Elternrolle?
- Damals arbeitete ich in einer Agentur, sie haben immer gut reagiert, ich konnte mein Pensum reduzieren. Allerdings machte ich mir selbst Druck, weil ich den gleichen Job hatte, aber weniger leisten konnte. (Florence)
Gab es einen Moment, in dem du dich von deinem Arbeitgeber besonders unterstützt oder im Stich gelassen gefühlt hast?
- Remote-Arbeit macht das Leben einer berufstätigen Mutter so viel einfacher – sobald die Kinder in den Kindergarten oder in die Schule gehen. Ein Ehemann, der ebenfalls remote arbeitet, hilft auch. (Anonym)
Was würdest du dir von Politik oder Arbeitswelt wünschen, um Familie und Job besser vereinbaren zu können?
Ich bin dankbar für die Tagesbetreuungsregelung im Kanton: Ohne subventionierte Tagesbetreuung wäre es mir nicht möglich gewesen, zu arbeiten. Trotz eines guten Einkommens war es eine Herausforderung, eine Familie zu versorgen und eine erhebliche finanzielle Belastung mit nur einem Gehalt und ohne kommunale und kantonale Subventionen zu bewältigen.
Natürlich klappt nicht immer alles – aber ich habe gelernt, bewusst mit meiner Zeit umzugehen. Ich versuche, bei der Arbeit wirklich präsent zu sein – und zu Hause ebenso. Ich plane, ich delegiere, wenn’s möglich ist, und ich lasse Perfektion los. Ganz ehrlich: Erwartungen zu managen – vor allem meine eigenen! – hat alles verändert. Und manchmal schaue ich zurück und denke: Was habe ich eigentlich mit all der freien Zeit gemacht, bevor ich Mutter war?! Ich hätte zehn Bücher schreiben können. Oder mehr lernen. Oder, oder… Zeit bekommt eine ganz neue Bedeutung, wenn man kaum noch welche für sich selbst hat.
Ein längerer Vaterschaftsurlaub oder eher eine Elternzeit, da ist die Schweiz sehr rückständig. Genügend bezahlbare familienergänzende Betreuung und Kitaplätze und bessere Löhne und Arbeitsbedingungen für die Betreuung. Von der Wirtschaft wünsche ich mir viel mehr Teilzeitstellen für Männer und von der Gesellschaft Offenheit und Akzeptanz dafür.
Welche Botschaft würdest du anderen Eltern gerne mitgeben?
Versuch nicht, ein Superheld in Sachen Arbeit und Familie zu sein… Nimm dir Zeit und Energie für die Dinge, die du liebst, unabhängig von deiner Rolle als Elternteil oder Angestellte. Akzeptiere, dass du nicht immer und überall perfekt sein kannst.
Hört bitte auf, eure Kinder miteinander zu vergleichen und nehmt es etwas lockerer. Jedes Kind ist einzigartig und entwickelt sich unterschiedlich schnell und das ist doch wunderbar so! Eltern sein (oft Mutter sein) ist kein Konkurrenzkampf. Euer Kind und ihr selbst seid auch toll, wenn es etwas noch nicht perfekt kann. Lasst euer Kind Kind sein, solange es geht. Erwachsen sein kann es noch genug lange.
Teilt euch die Arbeit und die Betreuung auf. Wir haben in den ersten Jahren genau zum gleichen Pensum gearbeitet und unser Kind betreut, das schafft dieselbe Ausgangslage und erspart viele Diskussionen um Mental Load, Haushalt, Freizeit.
Wenn du der Gesellschaft etwas sagen könntest: Was wäre das?
Vor allem an die Frauen: wenn ihr mehr Unterstützung von euren Männern möchtet, lasst sie auch. Sie tun dies anders als ihr es tun würdet und das ist ein Mehrwert fürs Kind. Auch wenn’s für euch manchmal schwer ist, zuzuschauen. (Moritz, Zürich)
Und dann hat auch noch Annette uns geteilt , wie es vor 40 Jahren für sie war, als sie Mutter wurde.
Vor 40 Jahren in der Schweiz erwartete man von den werdenden Müttern, dass sie nicht mehr arbeiten und einfach zu Hause blieben, um das Kind grosszuziehen. Schon mein Frauenarzt hatte mich gewarnt: «Man kann nicht den Fünfer und das Weggli haben», was mich ärgerte, weil es schon damals in Frankreich möglich war, Beruf und Mutterschaft zu vereinen.
Das Unternehmen, für das ich arbeitete (mit häufigen Reisen), wollte mich nicht in Teilzeit beschäftigen – mit der Begründung, dass «alle Sekretärinnen dann Teilzeit arbeiten wollen würden».
Später, als meine beiden Kinder in den Kindergarten oder in die Schule mussten, waren die Stundenpläne so (schlecht) konzipiert, dass das erste Kind von 8.00 bis 10.00 Uhr gehen musste und das zweite Kind von 9.00 bis 11.00 Uhr. Mütter konnten nur schnell einkaufen gehen und hatten dann kaum Zeit für sich selbst.
Irgendwie ging es trotzdem… Mit der Hilfe von Babysittern und später mit der Einführung des Mittagstischdienstes (ein Hort für alle) konnte ich wieder arbeiten – von zu Hause aus. Allerdings in einem anderen Job und als Selbständige. Mehr über ihren Quereinstieg hat sie uns hier erzählt.
Heute ist alles viel einfacher, und ich möchte allen Müttern mit einem kleinen Kind Mut machen: Weiterarbeiten ist möglich – es ist schwierig, anstrengend, nervenaufreibend, man muss oft erfinderisch sein, aber es ist eine Bereicherung – sowohl für die Mutter als auch für das Kind.
Schlussgedanke
Elternsein bedeutet, in ein Leben voller Widersprüche zu stolpern. Es ist herausfordernd, wunderschön, überfordernd – und nie so, wie es in den Büchern steht oder in den sozialen Medien zu sehen ist.
Vielleicht sollten wir uns öfter gegenseitig sagen: „Du machst das gut. Auch wenn du es anders machst als ich.“
Denn das, was einem vorher niemand erzählt, ist gleichzeitig die wichtigste Wahrheit: Es gibt nicht den einen richtigen Weg – nur euren.